Diagnose Autismus: Was nun? In diesem Blogbeitrag möchte ich Ihnen eine kurze Übersicht für Ihren Alltag geben. Ich behandle ein paar grundlegende Fakten rund um das Thema Autismus, gefolgt von ein paar Tipps, wie Sie Ihr Leben angenehmer gestalten können. Natürlich erfahren Sie auch, was Sie beantragen könnten. Wägen Sie hier aber bitte vorsichtig ab, was Sie benötigen. Leider kann man sich in Deutschland auch einen dicken Strich durch die Rechnung machen, wenn man etwas unbedacht macht. Vielleicht fragen Sie sich, wie Ihre Diagnose Ihr Umfeld oder Ihren Job beeinflusst. Auch das wird hier behandelt.
Ich habe Redewendungen und bildliche Sprache mit (RW) deklariert, damit Sie sich leichter zurechtfinden. Lassen Sie uns nun in das Thema einsteigen.
1. Diagnose Autismus: Das sollten Sie jetzt wissen
Für mich war das Wichtigste zu hören, dass ich nicht plötzlich jemand anderes bin, bloß wegen der Diagnose. Die Worte, die dem Arzt aus dem Mund fielen, haben nicht verändert, wer ich bin. Sie sind nur dafür da, dass Menschen einsortieren können, wo jemand „hingehört“. Schubladen also. Ja, ich bin Autistin. Aber das ist nur eins der vielen Merkmale, die mich als Mensch ausmachen. Deshalb möchte ich Ihnen folgendes sagen: Sie sind einzigartig und toll! Ob Sie nun der Schublade „Autismus“ offiziell angehören oder nicht, macht keinen Unterschied.
Da Sie aber diese Worte lesen, wurden Sie wohl relativ frisch als dem Spektrum angehörig diagnostiziert. Vielleicht wurde Ihnen gesagt, dass Sie einen der folgenden „Autismusarten“ haben:
- Asperger Autismus oder Asperger-Syndrom
- Atypischer Autismus
- Frühkindlicher Autismus
- Kanner Autismus, Kanner Syndrom
- Infantiler Autismus
- Hochfunktionaler Autismus (HFA)
- Niederfunktionaler Autismus (LFA)
Was das bedeutet? Ist an sich irrelevant. Warum? Weil es ein Spektrum ohne harte Grenzen ist.
Geschichte zur Diagnose
Hans Asperger und Leo Kanner haben zu ihren Zeiten beide an Ausprägungen des Autismus Spektrums geforscht. Kanner an einem Pol und Asperger am anderen Pol. An einem Ende der Achse, entdeckte Leo Kanner, dass manche Kinder spezifische Charaktereigenschaften und gleichzeitig oft geistige Behinderungen hatten. Am anderen Ende der Achse entdeckte Hans Asperger, dass manche Kinder einen sehr hohen Intellekt hatten und dazu Verhaltensweisen, die andere Kinder nicht hatten. Heute weiß man, dass die Übergänge flüssig sind. Ich will Sie nicht mit Diagnosekriterien langweilen, weshalb ich mich kurzfassen will.
Kanner beschrieb einen IQ im Bereich geistiger Behinderung bis normal, mit Auffälligkeiten in der Motorik, Sprachentwicklung und stereotypen Verhaltensweisen. Diese Kinder werden vor dem 3. Geburtstag auffällig. Es wurde noch einmal in HFA und LFA je nach IQ unterteilt.
Asperger beschrieb einen IQ im normalen, bis hochbegabten Bereich, mit Auffälligkeiten in der Motorik, Sprachentwicklung und stereotype Verhaltensweisen. Diese Kinder wurden erst nach dem 3. Geburtstag auffällig. Sie sehen schon, es ist schwer zu trennen. Deshalb wurden in der ICD 11 (Diagnostikmanual) nun die getrennten Diagnosen fallengelassen und stattdessen entstand die Autismus-Spektrum-Störung (ASS).
So viel nun zu dem Diagnose Gedöns.
Man könnte noch diskutieren, ob Autismus eine Krankheit oder eine Behinderung darstellt. Aber ich glaube, das würde hier den Rahmen sprengen.
Habe ich bereits erwähnt, dass Sie nach der Diagnosestellung niemand anderes sind als davor?
Sie werden höchstwahrscheinlich ihr Leben Revue passieren lassen und mit anderen Augen (RW) draufschauen. Tun Sie das gerne. Versuchen Sie allerdings nicht, daran zu verbittern. Sehen Sie ihre Diagnostik als Neubeginn. Sie können Ihr Leben jetzt mit einem viel besseren Verständnis für sich selbst und Ihre Besonderheiten leben.
2. Darauf müssen Sie sich im Alltag einstellen
Ich möchte Ihnen ein paar Tipps an die Hand geben, die Ihr Leben mit Ihrer Autismus Diagnose angenehmer machen können. Vielleicht verstehen Sie jetzt plötzlich, warum sie so geräuschempfindlich sind. Oder sind Sie empfindlich gegenüber Berührungen von Kleidungsstücken, Menschen oder ähnlichem. Fühlen Sie sich ausgelaugt und über stimuliert nach sozialen Begegnungen? Vielleicht sind Ihnen aber auch Farben, Licht oder andere visuelle Reize zu grell.
Vielen Autist*innen, Eltern und mir haben einige der folgenden Ideen geholfen.
Auditive Empfindlichkeit:
- ANC-Kopfhörer zum Beispiel bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, einkaufen und anderen lauten Situationen
(ANC steht für Advanced Noise Cancelling und beschreibt, dass sie Hintergrundgeräusche rausfiltern). Hier gibt es näheres dazu, wie Sie Geräusche minimieren können.
Taktile Empfindlichkeit:
- Etiketten aus Kleidung entfernen
- Socken, Unterhemden und Unterwäsche auf links tragen, damit die Naht nicht drückt
- Handschuhe tragen, wenn Sie etwas berühren müssen, das Ihnen nicht zusagt
Visuelle Empfindlichkeit:
- Selbst tönende Brillen, wenn Sie Brillenträger sind
- Sonnenbrillen
- Leicht getönte Brillen (z. B. blau oder gelb)
- Machen Sie einfach mal die Augen zu und gönnen Sie sich eine Pause
Überreizung:
Wenn Sie merken, dass es Ihnen in Situationen zu viel wird, zwingen Sie sich bitte nicht, dabei zu bleiben. Gönnen Sie sich einen Verschnaufer. Verlassen Sie die Gesellschaft im Restaurant zum Beispiel und gehen für ein paar Minuten vor die Tür. Atmen Sie tief durch und lassen den Stress etwas von sich fallen. Es gibt viele Atemübungen auf YouTube.
Ihnen wird unwohl, wenn Sie nur an soziales Beieinander denken? – Halten Sie Ihre Besuche kurz. Es ist ok, wenn Sie eine Situation früher verlassen. Sagen Sie aber Bescheid, damit die Leute Sie verstehen können.
Einkaufen ist anstrengend? – So viele Lichter, Geräusche, Menschen. Versuchen Sie sich an Noise-Cancelling-Kopfhörern und getönten Brillen. Schreiben Sie sich eine Einkaufsliste, die das Layout des Ladens mit einbezieht. So sind Sie schnellmöglichst durch. Leider bauen Supermärkte gerne um, weshalb Ihr „Laufplan“ eventuell Updates benötigt.
Wenn Sie um viele Reize nicht drum rumkommen, planen Sie sich danach einige Zeit zum Regenerieren ein.
Abweichen von der „Norm“
Als ich meine Diagnose frisch hatte, beschloss ich, nicht mehr auf den Rosenmontagszug zu gehen. Was für eine Erleichterung! Ich hasste die vielen Farben, den Lärm, die vielen Körper um mich herum. Das Gedrängel. Ugh! Ich beschloss also, mich selbst zu schützen und es geht mir so viel besser damit. Denn ich muss nicht wie die anderen sein. Ich darf einzigartig ich sein. Wenn ich Ihnen beschreiben könnte, um wie viel sich mein Leben verbessert hat, weil ich nicht mehr den Erwartungen Anderer folge, würde ich dies tun. Aber ich glaube, dass Sie das für sich selbst erfahren müssen, denn es ist ganz schön schwer in Worte zu packen.
Trauen Sie sich, sich selbst zu schützen. Sie werden sehen, dass Sie gar nicht so auffallen, wie Sie denken. Und wenn doch? So what? Wie viele Leben planen Sie zu haben? Nur eins? Dann leben Sie dieses eine Leben so, wie es sich für Sie gut und richtig anfühlt.
3. Diese staatlichen und sozialen Unterstützungen können Sie mit Ihrer Autismus Diagnose beantragen
Autismus wird als Behinderung gehandhabt. Das heißt, dass Sie Ihren Grad der Behinderung beantragen können. Diesen Antrag stellen Sie bei Ihrem Amt für Versorgung und Soziales. Vorab und unter uns; es ist ein Lottospiel (RW). Es ist ein Unding, wie die Anträge gehandhabt werden. Bei den meisten Versorgungsämtern bekommt man ohne Widerspruch gar nichts. Bei anderen bekommt man sofort einen unbegrenzt gültigen Ausweis ausgestellt. Selbst innerhalb eines Amtes kommt es zu einer sehr großen Bandbreite an Antworten. So befinde ich mich seit anderthalb Jahren im Widerspruchsverfahren für meinen Sohn. Bereiten Sie sich also auf einen Kampf vor. Anlaufstellen, die Sie bei der Beantragung unterstützen, finden Sie im nächsten Stichpunkt.
Leistungen zur Teilhabe am täglichen Leben könnten Ihnen zustehen. Benötigen Sie Hilfe beim Erlangen, Erhalten oder Verbleiben im Arbeitsleben, so fällt dies unter das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG). Auch Wohnungshilfe, medizinische Rehabilitation, Teilhabe an Bildung und sozialer Teilhabe sind hier geregelt.
Als schwerbehinderte Person haben Sie ein Anrecht auf das sogenannte persönliche Budget. Leider ist das Verfahren zur Beantragung extrem kompliziert.
Sie können Grundsicherung, Arbeitslosengeld und einen Pflegegrad beantragen. Voraussetzung ist natürlich, dass Sie diese Hilfen benötigen.
4. So beeinflusst ihre Diagnose ihr direktes Umfeld
Haben Sie einen liebsten Menschen in Ihrem Leben? Kinder? Freunde und Eltern? Vielleicht überlegen Sie, wie oder ob Sie diesen Menschen von Ihrer Autismus Diagnose erzählen. Die Entscheidung ist einzig und alleine Ihre. Wenn Sie Ihr Umfeld einweihen, kann es Ihnen passieren, dass Sie Verständnis empfangen wie nie zuvor. Auch in Ihrem Umfeld werden Puzzleteile zusammenklicken (RW). Vielleicht möchten Sie auch zusammen die Vergangenheit reflektieren und von der neuen Perspektive betrachten. Ich verspreche Ihnen viele Aha-Momente. Erinnern Sie sich daran, dass die Diagnose nur ein Label ist? Eine Schublade? Sie sind niemand anderes als davor auch. Allerdings wird Ihr Umfeld besser auf Sie reagieren können. Falls Sie sich immer um Familienfeste gedrückt haben, so können sie es jetzt verstehen und fühlen sich weniger vor den Kopf gestoßen (RW)
Was auch immer Sie entscheiden, es muss für Sie stimmig sein.